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Was ist eigentlich ein "Öffentliches Gut"?
 
Achtung Erforderliche Vorkenntnisse für diesen Text: keine
Abb. 1: Tunnelbau
Abb. 1: Tunnelbau

Im Laufe der Zeit hat sich A-Stadt zu einer "Wohn- und Schlafstadt" entwickelt, während sich in B-Stadt zahlreiche Industriebetriebe angesiedelt haben. Die Einwohner von B-Stadt nehmen gern die Einkaufsmöglichkeiten von A-Stadt in Anspruch. So kommt es, dass zahlreiche Bewohner zwischen den beiden Städten pendeln. Überhaupt sind die Beziehungen zwischen den Städten recht eng. Einzig und allein der Gebirgszug, der sich zwischen den beiden Städten erstreckt, verhindert noch intensivere Beziehungen, die von den Stadträten wie den Bürgern gewünscht werden.

Die beiden Städte verbindet eine Straße, die um das Gebirge herumführt. Wegen ihrer zahlreichen Kurven und Steigungen kommt es immer wieder zu Diskussionen, ob man die Städte nicht durch einen Tunnel verbinden sollte. Befürworter der Tunnelidee sind vor allem Berufstätige und Gewerbetreibende. Aus verschiedensten Gründen ist dem ein oder anderen der Tunnelbau mehr oder weniger wichtig. Freilich gibt es auch Einwohner, die überhaupt keinen Wert auf den Tunnel legen. Ihretwegen könnte man auf den Bau gerne verzichten.

Dass die Diskussion um den Tunnelbau nicht so recht voran kommt, liegt auch daran, dass es zwischen den Ratsfraktionen in beiden Städten Streit gibt, ob die Ausgaben für den Tunnel gegenüber den Bürgern, die den Bau letztlich mit ihren Steuergeldern finanzieren müssten, zu rechtfertigen wäre. Dabei ist eines völlig unstreitig: Der Tunnelbau würde 10 Mio. Euro kosten. Die späteren laufenden Kosten für den Unterhalt wären vernachlässigbar gering. Da die Straße um den Berg weniger genutzt werden würde, könnte man die Einsparungen beim Unterhalt der Straße zudem für den Unterhalt des Tunnels verwenden.

Als der in A-Stadt beheimatete Bauunternehmer Heinemann eines Tages mit dem Bürgermeister am Stammtisch sitzt, hat er eine pfiffige Idee. Wie wäre es mit einer "Public-Private-Partnership" (PPP)? Er baut den Tunnel auf eigene Kosten und darf dafür im Gegenzug 10 Jahre lang Mautgebühren kassieren, deren Höhe er nach eigenem Ermessen festlegen darf. Anschließend geht der Tunnel in den Besitz der Städte über.

Noch vom Stammtisch aus rufen beide den Bürgermeister von B-Stadt an. Auch er ist sofort Feuer und Flamme, hat allerdings eine Bedingung: Heinemann müsse alle Bürger gleich behandeln. Insbesondere dürfe er nicht unterschiedliche Mautgebühren von A- und B-Städtern kassieren. Ob der tollen Idee klopft man sich gegenseitig auf die Schulter und feiert bis tief in die Nacht.

Am nächsten Morgen, noch ganz verkatert, kommen Heinemann erste Bedenken. Eine Investition in Höhe von 10 Mio. Euro - kommt die auch wieder rein? Er beschließt, eine Unternehmensberatung untersuchen zu lassen, welche Mauteinnahmen er mit dem Tunnel erzielen kann.

Preis in € Nutzer
0 6.000.000
1 5.000.000
2 4.000.000
3 3.000.000
4 2.000.000
5 1.000.000
6 0
Tab. 1: Nachfrage

Schon nach 14 Tagen legt die Unternehmensberatung den Bericht vor. Sie hat zahlreiche Bürger befragt, welche Mautgebühr sie zu zahlen bereit wären, und die Ergebnisse hochgerechnet. Kern der Expertise ist eine Tabelle, die die Höhe der Maut den zu erwartenden Tunnelnutzern gegenüberstellt, mit denen bei entsprechendem Preis während der Laufzeit der PPP über 10 Jahre gerechnet werden kann (s. Tabelle 1).

Schon nach einem kurzen Blick auf die Tabelle ist Heinemann klar: Das Projekt rechnet sich nicht. Selbst wenn man die zukünftigen Erträge nicht abdiskontiert, lassen sich mit dem Tunnel bei einer Mautgebühr von 3 Euro maximal Einnahmen in Höhe von 9 Mio. Euro erzielen. Bei kalkulierten Baukosten in Höhe von 10 Mio. Euro ist das Projekt gestorben.

Soll der Tunnel mit Steuergeldern finanziert werden?

Zerknirscht ruft Heinemann seinen befreundeten Bürgermeister an und gesteht kleinlaut, dass er am Stammtisch wohl etwas voreilig war. Zum Beweis, dass er es ernst gemeint habe, wolle er ihm aber das Gutachten der Unternehmensberatung zukommen lassen. Eventuell sei das ja noch einmal von Nutzen.

Und tatsächlich ist das der Fall. Denn der Bürgermeister hat im Unterschied zu Bauunternehmer Heinemann nicht den Gewinn des Projekts im Auge, sondern das Wohl der Bürger. Seine Devise lautet: Wir machen, was mehr nutzt, als es kostet.

Die Kosten des Tunnelbaus stehen mit 10 Mio. Euro fest. Aber wie sieht es mit dem Nutzen aus? Dass die Bürger Zeit und Benzin sparen, wenn sie nicht mehr um den Berg herum fahren, wäre sicher ein Vorteil des Tunnels. Vielleicht gäbe es auch weniger Unfälle als auf der kurvenreichen, gefährlichen Straße. Der Bürgermeister überlegt hin und her. Wie kann man bloß den Nutzen des Tunnels für die Bürger messen? Vor allem, wie kann man den Nutzen mit den Kosten vergleichen? Dazu müsste man ja den Nutzen für die Bürger in Euro angeben können. Aber Zeitersparnis misst man in Stunden und Minuten.

Als er noch einmal auf das Gutachten blickt, kommt ihm die entscheidende Idee. Die Bürger haben ja schon der Unternehmensberatung Auskunft gegeben, was ihnen der Tunnel wert wäre. Die Tabelle ist die Lösung, denn es gibt ja

  • 1.000.000 Bürger, die 5 Euro zahlen würden,
  • eine weitere Million, die 4 Euro zahlen würden,
  • noch eine Million, die 3 Euro zahlten,
  • eine weitere Million, die 2 Euro zahlten und
  • schließlich noch eine Million Bürger, die immerhin noch 1 Euro zu zahlen bereit wären.

Das macht nach Adam Riese 5+4+3+2+1 = 15 Millionen, wobei die Berechnungsgrundlage natürlich nicht die Bürger an sich, sondern deren hochgerechnete Fahrten über 10 Jahre sind. Wenn ein Bürger z. B. bereit ist, 4 Euro für eine Tunnelfahrt zu bezahlen, dann muss das ja bedeuten, dass sie ihm auch wenigstens 4 Euro Wert ist. Der kalkulierte Nutzenwert von 15 Mio. Euro stellt also eine Untergrenze für eine Schätzung des Tunnelnutzens dar.

Nun muss der Bürgermeister nur noch seinen Kollegen in B-Stadt und die Ratsmitglieder überzeugen. Das wird ihm aber nicht schwer fallen, denn es lässt sich ja zweifelfrei feststellen, dass der Tunnel mit 15 Mio. Euro einen deutlich höheren Nutzen bringt, als er Kosten verursacht.

Der Tunnel ist ein typisches Beispiel für ein Öffentliches Gut. Es ist für die Gesellschaft von Nutzen, aber ein privates Angebot kommt nicht zustande. Der Markt versagt bei der Bereitstellung des Gutes, weil sich mit ihm kein Gewinn erzielen lässt.

Öffentliche Güter sind durch zwei Eigenschaften gekennzeichnet:

  1. Öffentliche Güter können von mehreren Personen genutzt werden, ohne dass sie sich gegenseitig im Konsum behindern.
  2. Es ist nicht möglich, zumindest nicht ohne Weiteres möglich, Menschen durch die Forderung eines Preises von der Nutzung eines Öffentlichen Gutes auszuschließen.

Das erste Kriterium ist unter dem Namen Nichtrivalität im Konsum bekannt, das zweite unter dem Namen Nicht-Ausschließbarkeit.

Nichtrivalität im Konsum

Mit dem Tunnel wird eine Dienstleistung bereitgestellt, die von zahlreichen Menschen in Anspruch genommen werden kann, ohne dass sie sich dabei in die Quere kommen. Das gilt zumindest bei normaler Verkehrsdichte. In extremen Situationen kann auch Rivalität im Konsum entstehen.

Der Tunnel, oder besser seine Nutzung, hat damit im Unterschied zu Gütern, die man in einem Kaufhaus erwerben kann, eine besondere Eigenschaft. Die Herstellung einer weiteren "Tunneleinheit", sprich einer Fahrt durch den Tunnel, verursacht keine zusätzlichen Kosten. Denken Sie an beliebige Güter, die Sie im Kaufhaus erwerben können. Ich bin sicher, egal, was Ihnen gerade in den Sinn kommt: Wenn man eine weitere Einheit davon herstellt, entstehen dafür zusätzliche Kosten.

Aber es fallen Ihnen sicher auch diverse Beispiele für Güter ein, die von vielen oder sogar beliebig vielen Menschen genutzt werden können, wenn man sie einmal bereitgestellt hat:

  • Eine Rundfunksendung. Ein weiterer Hörer verursacht keine Kosten und behindert die anderen Hörer bei deren Konsum nicht.
  • Das Telefonnetz: Ein weiteres Gespräch verursacht praktisch keine Kosten.
  • Ein Deich: Ein weiterer Neubau hinter dem Deich ist vor Hochwasser geschützt, ohne dass zusätzliche Kosten entstehen. Die schon vorhandenen Häuser sind deswegen nicht weniger geschützt.
  • Eine Busfahrt: Ein weiterer Fahrgast verursacht praktisch keine Kosten. Solange noch Sitzplätze frei sind, kommt es nicht zu einer gegenseitigen Behinderung im Konsum.

Generell kann man feststellen, dass die Eigenschaft der Nichtrivalität im Konsum tendenziell bei Gütern (und Dienstleistungen) auftritt, deren grundsätzliche Bereitstellung in Relation zu den laufenden Kosten sehr hohe Investitionen erfordert. Das ist regelmäßig der Fall, wenn Netze aufgebaut werden müssen. Denken Sie an das Telefonnetz, ein Funknetz, Kommunikationssatelliten, das Abwassernetz, ein Schienennetz und ähnliches. Damit geht auch immer eine Tendenz zur Monopolisierung einher. Man spricht deswegen von "natürlichen Monopolen". So wenig, wie es Sinn machte, zwei Tunnel nebeneinander zu bauen, wird niemand auf die Idee kommen, in einer Stadt zwei parallel verlaufende Kanalnetze in die Erde zu legen.

Ein Markt, auf dem sich Anbieter Konkurrenz machen, wird bei solchen Gütern in der Regel nicht von allein entstehen, da die Anbieter Größenvorteile bei ihren Kosten realisieren können. Den Grund erkennt man leicht, wenn man von der gegenteiligen Annahme ausgeht, zwei Anbieter machten sich Konkurrenz. Der Einfachheit halber sei angenommen, beide hätten eine Anfangsinvestitionen in Höhe von 1.000 zu stemmen und könnten anschließend weitere Produktionseinheiten zu vernachlässigbar geringen Kosten erzeugen. Gelingt es nun einem von beiden, 500 Produkteinheiten abzusetzen, dann hat er Kosten pro Stück in Höhe von 2 (=1000/500). Wenn der Konkurrent weniger Einheiten absetzt, liegen seine Stückkosten höher. Ein Preis von 2 wäre also für den ersten kostendeckend, der zweite machte jedoch Verlust. Deswegen entbrennt zwischen beiden ein ruinöser Wettbewerb um die Größe, da derjenige von beiden, der mehr produziert und absetzt, in der Lage ist, das Produkt zu einem geringeren Preis anzubieten. Diesen Wettbewerb um die Größe kann nur einer der beiden Anbieter überleben - vermutlich der, der aufgrund einer besseren Eigenkapitalausstattung den längeren Atem hat. Diese natürliche Monopolisierungstendenz führt dazu, dass die Produkte entweder seitens des Staates bereitgestellt (bspw. Kanalnetz) oder die Märkte reguliert werden (bspw. Telefonnetz).

Quintessenz: Selbst wenn unser Bauunternehmer Heinemann den Tunnel durch die Mauteinnahmen finanzieren könnte, sollte man ihn die Höhe der Maut nicht allein festlegen lassen, da weder aktueller noch potenzieller Wettbewerb die Preisbildung kontrolliert. Der Tunnel hat den Charakter eines natürlichen Monopols. Man nennt solche Güter übrigens auch "Mautgut". Das liegt beim Tunnel sicher nahe, da hier der Preis ja tatsächlich Maut genannt wird, aber auch ein verschlüsselt ausgestrahltes Fernsehprogramm würde man so bezeichnen.

Nicht-Ausschließbarkeit

Bauunternehmer Heinemann wollte den Tunnel nur unter der Bedingung bauen, dass er im Rahmen einer PPP mit den Städten eine Genehmigung zur Erhebung von Mautgebühren erhalten, also einen Preis für jede Tunnelquerung hätte verlangen können. Kein privater Investor baut eine Straße, auf der jeder kostenlos fahren darf.

Ein privates Angebot an Gütern wird nur entstehen, wenn der Anbieter für sein Produkt einen Preis einfordern kann. Der Preis dient dazu, Menschen vom Konsum des Gutes auszuschließen. Wer eine Bäckerei betritt und nicht bereit ist, den Preis für ein Brötchen zu zahlen, der bekommt es auch nicht. Könnte er sich das Brötchen einfach nehmen, ohne einen Preis zu zahlen - es gäbe keine Brötchen mehr in der Bäckerei. Aber der Bäcker hat ja kein Problem damit, einen Preis einzufordern. Die Verkäuferin steht ohnehin im Laden und passt schon darauf auf, dass kein Kunde das Geschäft mit Brötchen verlässt, ohne vorher gezahlt zu haben.

Das klappt aber aus unterschiedlichen Ursachen nicht mit jedem Gut. Bei manchen ist es praktisch überhaupt nicht möglich, einen Preis zu fordern, bei anderen ist es umständlich und teuer.

Als Rundfunk- und Fernsehprogramme noch ausschließlich analog ausgestrahlt wurden und technisch noch keine (zuverlässige) Möglichkeit bestand, die Programme zu verschlüsseln, war es für private Anbieter unmöglich, jemanden vom Empfang auszuschließen, der nicht bereit war, dafür zu bezahlen. Als sich die Schiffe in Küstennähe noch mit Hilfe echter Leuchtfeuer von Leuchttürmen navigiert haben, gab es keine Möglichkeit, die Kapitäne dafür zur Kasse zu bitten. Solange nicht entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, ist es ausgeschlossen, einen Preis für die Benutzung von Straßen und Wegen zu verlangen.

Von der Nutzung mancher Güter könnte man einfach ausgeschlossen werden, wenn man ihren Preis nicht entrichten wollte, aber es besteht ein gesellschaftlicher Grundkonsens, die Güter nicht oder zumindest nicht ausschließlich über den Preismechanismus bereitzustellen. Dazu zählt zum Beispiel die Schulbildung. Die Ausschließbarkeit wäre einfach herzustellen. Kindern, deren Eltern nicht zahlten, bliebe die Schule versperrt. Dazu zählt ebenso auch die Gesundheitsversorgung. Sie ließe sich technisch ohne Weiteres mit dem Ausschlussprinzip realisieren. Wer beim Arzt nicht zahlte, erhielte keine Behandlung.

Güter, bei denen es praktisch ausgeschlossen ist, Menschen vom Konsum fernzuhalten, die dafür keinen Preis entrichten, sind bspw. die Straßenbeleuchtung sowie die innere und äußere Sicherheit. Wie wollte man einen Passanten zu Kasse bitten, der nachts durch die Straßen geht und dabei die "Straßenbeleuchtung konsumiert"? Wenn der Verteidigungsfall einträte, sollte ein General bei Ihnen an der Haustür klingeln und fragen, ob Sie gegen Zahlung eines bestimmten Preises verteidigt werden möchten?

Bei öffentlichen Gütern versagt der Preismechanismus. Die Nichtrivalität im Konsum lässt natürliche Monopole entstehen, die fehlende Ausschließbarkeit ein privates Angebot erst gar nicht zustande kommen.
Zum Nachdenken
In Deutschland besitzt durch die gesetzliche Krankenversicherung das Gesundheitssystem teilweise den Charakter eines Öffentliches Gutes. Können Sie hier eine fehlende Ausschließbarkeit beobachten? Welche Probleme entstehen dadurch? Welche Maßnahmen werden ergriffen? Gibt es im Gesundheitssystem Nichtrivalität im Konsum?